Taschkent, die Hauptstadt Usbekistans, größte Metropole in Zentralasien mit seinen mehr als 3 Millionen Einwohnern, hat wie keine andere Stadt es gemeistert seine Geschichte kunstvoll mit der Gegenwart zu vereinen. Die Stadt liegt nördlich der Seidenstrasse, am westlichen Rand des Tian-Shan Gebirges.

Bereits im 3. Jahrhundert v. Chr. wurde Taschkent in chinesischen Quellen erwähnt. 751 eroberten arabische Streitkräfte die Stadt. Dschingis Khan (1220) eroberte die Stadt ebenfalls, unter Amir Timur im 14. Jahrhundert, der im Westen als Tamerlan oder Timur Lenk bekannt ist, erreichte die Stadt im Mittelalter historische Bedeutung und Reichtum.

Taschkent hat im Laufe seiner Geschichte viele unterschiedliche Einflüsse erlebt, die sich deutlich in der Stadtstruktur widerspiegelt. Verschiedene architektonische Stilrichtungen stehen häufig direkt nebeneinander. Altes und Neues ergänzt sich in einer einzigartigen Symbiose. Heute ist sie einer der wichtigsten wirtschaftlichen und kulturellen Zentren für ganz Mittelasien, Drehscheibe zwischen West und Ost, ein bedeutender Verkehrsmittelpunkt, mit Kulturzentrum und Universitäten, Forschungsinstituten und bietet eine Vielzahl an touristische Attraktionen mit Parks, Theatern, Museen, Zoo und Restaurants…

Auch den höchsten Fernsehturm (375m) von ganz Mittelasien und eine einzigartige, architektonisch bezaubernde U-Bahn (1972) findet man in Taschkent. Ihr heutiges modernes Gesicht verdankt die Stadt jedoch einem schweren Schicksalsschlag.

Vor 50 Jahren, am 26. April 1966, um 5 Uhr 22 und 52 Sek. wurden bei einem verheerenden Erdbeben erhebliche Teile der Stadt zerstört. Das Epizentrum lag direkt unterhalb der Stadt. Dabei wurden 36.000 Häuser zerstört, rund 100.000 Wohnungen waren unbewohnbar, 300.000 Menschen wurden obdachlos. Die Erde kam dennoch nicht zur Ruhe, die Stadt wurde jedoch weitere zwei Wochen lang erschüttert. Die Stöße waren in den stärksten Amplituden 6 Punkte auf der Richterskala, viele kleinere (ca. 200) beliefen sich auf Erdbebenstärke 3. In den nächsten Monaten folgten etwa 1.000 weitere Erdstöße, die immer noch Zerstörungen anrichteten. Offiziellen Quellen zufolge gab es trotz der schwere des Bebens nur 15 Tote zu beklagen.

Als Scharof Raschidov, der erste Sekretär der Kommunistischen Partei der Republik Uzbekistan 1966 das Erdbeben spürte, galt sein erster Anruf im Gebäude der Parteizentrale, dabei soll er gesagt haben: „auch wenn alles zusammenfällt, die Parteizentrale muss stehen bleiben!“. Doch die Partei hatte Glück, das Gebäude war weitestgehend unzerstört.

Taschkent liegt in einer erdbebengefährdeten Zone, wurde als eine der Regionen der Welt mit der höchsten Erdbebengefährdung und Risiko identifiziert. Das Gebiet wird seit alters Zeit von Erdbeben regelmäßig mit kleineren Beben erschüttert, insbesondere im Frühjahr und im Herbst.

Die Bewohner der Altstadt, die seit Jahrhunderten mit kleineren Erdbeben leben, kamen mit dem Schrecken davon. Die Altstadt mit ihren einstöckigen Lehmbauten überlebte mit Rissen in den Wänden die Erdstösse. Aus den Erfahrungen der letzten tausend Jahre wurden Gebäude aus Tradition mit besonderen baulichen Vorkehrungen „erdbebensicher“ gebaut. „Opfer“ waren vor allem auf Seiten der Neustadtbewohner zu beklagen mit ihren mehrstöckigen Häusern und Ziegelsteinbauten aus der Gründerzeit der russischen Kolonialzeit.

Eine neue Stadt entsteht – Phönix aus der Asche…

In den folgenden Wochen erfuhr das Land Usbekistan, das damals unter dem Regime der Sowjetunion stand, eine Flut von Unterstützung mit einer großen Hilfswelle und von den zahlreichen Sowjetrepubliken brüderliche Hilfe für die Wiederaufbauarbeit. Die Schäden wurden in kurzer Zeit von den Baggern und Aufräumtrupps beseitigt. Viele nur teils beschädigte Gebäude und ältere Altstadtquartiere wurden wegen Einsturzgefahr ebenso beseitigt, vielen der flächenweiten Beseitigung der Erdbebenschäden zum Opfer. Die Umfangreiche und schnelle Hilfe von Partei und Regierung in Moskau kam der Stadt dabei zugute. Durch vorabfabrizierte Materialien sowjetischen Designs konnte der zerstörte Wohnraum bis 1970 in wenigen Jahren komplett ersetzt werden. In den 1980er Jahren setzte sich die Expansion von Wohngebieten fort und es entstanden Einkaufszentren in sowjetischem Stil und eine Veranstaltungshalle – Palast der Völkerfreundschaft.

Heute ist nur noch ein kleiner Teil der Altstadt mit einem orientalischen Flair aus 1001 Nacht sichtbar. Gut erhalten sind u.a. der Khast-Iman Komplex. Mit der Barak-Khan Medrese aus dem 16. Jahrhundert und Khast Imam Bibliothek, die eine wichtige religiöse Bibliothek beherbergt. Hier befindet sich der älteste Koran der Welt aus den Jahr 655.

Ebenso beeindruckend ist der Altstadtbasar Chorsu Bazar, einer der größten Basare der Stadt in dem man u.a. die ursprünglichsten Güter, traditionelle Handwerkskunst wie z.B. volkstümliche Musikinstrumente und Kinderkrippen erwerben kann.

So tragisch wie die Naturkatastrophe von 1966 war, sie hatte auch etwas Gutes, hat der heutigen Stadt Taschkent einen einzigartigen oriental-asiatischen-europäischen Stil gegeben. Nach Beseitigung der Erdbebenschäden kamen die Stadtplaner und Baufirmen, das Ereignis ermöglichte es ihre Vision einer neuen Stadt als Symbol sowjetischer Modernität in Asien umzusetzen in der sich die Völkerfreundschaft der Sowjetunion beweisen konnte. Für die jungen unabhängigen Staaten Afrikas und Lateinamerikas wurde Taschkent in Folge dessen als Vorbild einer sozialistischen Metropole. Anstelle der beengenden und verwinkelten Straßen und Altstadtquartiere wurden großzügige Alleen, breit angelegte Straßenzüge projektiert. Es wurde erdbebensichere Hochhäuser mit einzigartigen sozialistischem Baustil für tausende Menschen gebaut. Die Wiederaufbabemühungen lösten einen Aufschwung an Innovationen aus. Die Stadt erhielt das Gesicht einer Moderne und behielt sich dennoch Elemente orientalischer Baustile bis heute bei. Beispiellos in der Geschichte, stimulierte das Erdbeben die Modernisierung der Stadtentwicklung in Taschkent.

Der Verleger und Architekt Philipp Meuser hat anlässlich zum 50 jährigen Jubiläum, zum Andenken an dieses Ereignis, ein Buch mit dem Titel: Seismic Modernism; Architecture an Housing in Soviet Taskhent herausgegeben. In dem 256 Seiten umfassenden Werk wird der Wiederaufbau von Taschkent als ein perfektes Beispiel der sowjetischen Vorstellungen einer Stadtplanung – in denen die technische Standardisierung und sozialen Anforderungen und die gleichzeitige Suche nach einem Ausdruck der nationalen Identität in Gebäuden widerspiegelt. Tashkent ist somit ein einzigartiges Beispiel des radikalen Stadtumbaus in eine sowjetische Mega-City mit Standard-Designs.

In der Literatur finden sich zahlreiche, bisher unveröffentlichte Bilder vom Wiederaufbau sowie Projektpläne, in denen die Veränderung des Megacity Taschkent dokumentiert ist.

Seismic Modernism
Architecture and Housing in Soviet Tashkent
210 × 230 mm, 256 Seiten 300 Abbildungen, Softcover
ISBN: 978-3-86922-493-0 (English)
ISBN: 978-3-86922-494-7 (Russian)
Verlag: DOM publishers, Herausgeber: Philipp Meuser

USBEKISTAN-ONLINE BIBLIOTHEK

Weitere Literatur Empfehlungen:
Architekturführer Usbekistan
ISBN: 978-3-86922-198-4, Verlag: DOM publishers, Herausgeber: Philipp Meuser

Die Ästhetik der Platte, Wohnungsbau in der Sowjetunion zwischen Stalin und Glasnost
ISBN: 978-3-86922-399-5 (deutsch), Verlag: DOM publishers, Herausgeber: Philipp Meuser

 

Beitrag: Gerhard Birkl; 26. April 2016

 

Empfohlene Links:

USBEKISTAN GALERIE
http://www.flickr.com/usbekistan_news/sets/

Die schönsten Plattenbauten der Welt
https://www.jeder-qm-du.de/ueber-die-platte/plattenbau-galerien/meuser-usbekistan/

Erdbebengebiete der Erde
https://de.wikipedia.org/wiki/Erdbebengebiete_der_Erde

Deutsche Botschaft Taschkent - Krisenvorsorgeliste ELEFANT
https://taschkent.diplo.de/uz-de/service/-/2136872

Bestandsaufnahme des Erdbebenwissens
https://dgeb.org/veroeffentlichungen/

Erdbebentauglichkeit traditioneller Bauweisen in Zentralasien
http://docplayer.org/25598947-Erdbebentauglichkeit-traditioneller-bauweisen-in-zentralasien.html

 

Literatur_Philipp_Meuser.jpg

 

Aktuelle Ausgabe DOM publishers; Foto mit freundlicher Genehmigung durch den Verlag/Herausgeber

  

_DSC0090_GB.jpg

Zerbrochener Quader, Andenken an das große Beben von 1966; Foto: G.Birkl

 

_DSC0092_GB.jpg

Gedenkstätte für ein tragisches Ereignis - Erdbeben 26. April 1966, 5 Uhr 22; Foto: G.Birkl

 

_DSC0098_GB.jpg

Sozialistische Brüderlichkeit und Unterstützung für den Wiederaufbau…; Foto: G.Birkl

 

DSC_1615_GB.JPG

Seit Jahrhunderten bewährte, traditionelle Bauweise zur Erdbebensicherung; Foto: G.Birkl